Dorrit Nebe

Vorübergehend
Malerei und Fotografie

Die Künstlerin Dorrit Nebe zeigt in dieser Ausstellung eine Bilderserie, die sich auf eine zuvor entstandene Serie von Fotoarbeiten bezieht. Die Thematik der Fotoarbeiten, „vorübergehende Menschen“, wird in den Acrylgemälden verdichtet und reduziert. Das Thema des Vorübergehenden behandelt Dorrit Nebe dabei bewusst aus der Position der „Unschärfe“, die sie sowohl in der Fotografie als auch in der Malerei erreicht. Die Künstlerin nimmt die Fotos aus einer leichten Vogelperspektive und mit langer Belichtungszeit auf. Dadurch sind die zufälligen Personen im Fluss ihrer Bewegung festgehalten und erscheinen in eine gleichsam schwimmende und flüchtige Erscheinungsform fixiert. Im Grau der Straßen und Asphaltbahnen glimmen die Gestalten wie farbige Lichtreflexe auf, die durch das Bild schweben und zu nahezu abstrakten Formsetzungen mutieren.

Die Thematik des Vorübergehens - des „en passant“ - bedeutet für Dorrit Nebe gleichzeitig auch eine Referenz an die Grundlagen ihrer künstlerischen Arbeit, die sie schon lange in ihrer Malerei verfolgt und die über die Flüchtigkeit der Erinnerung wie auch die Ambivalenz der Situationen und Dinge reflektiert. Zentrales Thema der Malerei dieser neuen Bilderserie ist die Kombination zwischen nahezu präziser Wiedergabe der Figuren und andererseits Verschleifungen der Farbe, die die Bildfläche bis in ihre inneren Schichten hinein öffnen und freilegen. In dieser Präsentation von Fotografie und Malerei erreicht Dorrit Nebe unterschiedliche Ebenen der Auseinandersetzung. Während in den fotografischen Arbeiten der Grad der Unschärfe gleichmäßig über die gesamte Bildgestaltung gehalten ist und so der Mensch gleichsam als der Vorbeihuschende in einer sich auflösenden landschaftlichen oder örtlichen Situation aufgeht, entwickelt sie in der Malerei jene Gradwanderung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion mit anderen Mitteln. Die Bildflächen, die die Künstlerin in ihren Gemälden gestaltet, sind zunächst von großer Homogenität und malerischer Konkretion. Auf vielschichtigem malerischem Grund entstehen in wenigen aber sehr differenzierten Farbtönen aufgebaute Lichträume. Aus dieser Farbraumsituation heraus entwickelt sich meist aus dem Zentrum versetzt die Darstellung einer vorbeigehenden Figur aus einer Kombination von realistischen und sich auflösenden Elementen. Die Gestalten scheinen zum Teil von jenem gemalten Lichtraum überflossen oder nur flüchtig auf den Bildgrund aufgebracht zu sein, so dass sich die Figur erst im Verlaufe der Betrachtung deutlicher konkretisiert und gleichzeitig bei genauerem Hinsehen wieder in ihrer Diffusität verliert.

Erscheint bei den fotografischen Arbeiten der Moment des Vorübergehens als ein flüchtiger, der sich ständig wandelt und dessen Fixierung uns letztlich unmöglich erscheint, wird das Flüchtige und Vorübergehende in der Malerei zu einem Manifest der Erinnerung. Während in den fotografischen Arbeiten das verbindende Element der situative Moment ist, der in seiner Unaufhaltsamkeit und seiner Unwiederbringlichkeit aufschimmert, entstehen im malerischen Kontext daraus Palimpseste der Vergangenheit, die in der Möglichkeit der Erinnerung Aktualität und Ewigkeit gleichzeitig enthalten. Die Gemälde von Dorrit Nebe skizzieren damit einen Moment des Innehaltens, in dem der Betrachter wie zuvor die Künstlerin selbst, Erlebtes, Gesehenes und Zusehendes in Eins transformiert und so einen Moment der Unendlichkeit fixiert.

In den fotografischen Arbeiten befindet sich denn auch die Abbildung gleichsam in einer homogenen Lichtschicht auf dem Papier, die in einem ganz bestimmten kurzzeitigen Moment festgehalten wurde. Die Malerei entwickelt sich in einer Unzahl von Schichtungen und Überlagerungen der Farbe, die zum Teil durchbrochen werden von realistisch dargestellten Fragmenten, und ermöglicht so den Blick in die Vergangenheit, in die Entstehungsgeschichte des Bildes. Diese besondere Form der Schichtung, die uns an ein historisches Palimpsest - also ein mehrfach überschriebenes Dokument - erinnert, können so nur unter den Bedingungen reiner Malerei entstehen, derer sich Dorrit Nebe in diesen Arbeiten wie zuvor bedient.

Die Verknüpfung von Fotografie und Malerei in dieser speziellen Bildserie ist denn auch in unterschiedlichen Graden der Verdichtung angelegt. So gibt es Werke, in denen die Künstlerin die fotografisch entwickelte Arbeit zur Vorlage nutzt, um daraus eine malerische Gestaltung zu entwickeln, die sich dann allerdings deutlich von der fotografischen Vorgabe entfernt. Daneben gibt es aber auch eine Reihe von Gemälden, die das Thema frei aufgreifen ohne direkten Bezug zur Fotografie und das Phänomen des Vorübergehens in eigenen Figurationen entwickeln. Daraus lässt sich deutlich ablesen, dass der Umgang mit den malerischen wie mit den fotografischen Arbeiten ein unterschiedlicher ist, dem die Künstlerin letztlich auch eine jeweils andere Gewichtung verleiht. Sind die fotografischen Arbeiten gleichsam Paraphrasen zum Thema des Vorübergehens, entwickelt sie in den Gemälden Thesen über die Vergänglichkeit, die Momenthaftigkeit und die Unendlichkeit der Erinnerung.

Gabriele Uelsberg

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