Zu Bildern von Dorrit Nebe »Là, tout n'est qu'ordre et beauté, luxe, calme et volupté." Charles Baudelaire: Les fleurs du mal. -L'invitation au voyage. Paris 1861.

Inmitten eines Gewirrs bunt gemusterter Tücher, stillebenüberladener Tische und üppiger Blumenarrangements zwei Frauenakte, liegend, in selbstvergessener Ruhe (Abb.10 ). Das Interieur, gemalt 1985, bildet den Ausgangspunkt für die sich anschließenden Gedanken über malerische, thematische und Bedeutungszusammenhänge im Werk von Dorrit Nebe. Die Komposition steht hier am Anfang einer Entwicklung, die sich im Oeuvre der Künstlerin auf beeindruckende Weise abzeichnet; einer Entwicklung, die sich in einzelnen Schüben vollzieht, die fließend und eruptiv sein kann, die Früheres einschließt. Das aus drei zusammenhängenden gleichgroßen Teilen bestehende Bild ist Triptychon nur im formalen, die Dreigestalt benennenden Sinn. Die Komposition definiert die drei Tafeln als Ganzes. Die Darstellung knüpft thematisch an früher Entstandenes an. Die Frau und ihr Ambiente, das Interieur, das Stilleben sind Gegenstand der künstlerischen Auseinander- setzung. Die Frauen erscheinen als anonyme, ganz sich selbst lebende Wesen. Sie strahlen Ruhe aus. Sie fügen sich der Komposition ein ohne zu dominieren und bestimmen sie gleichzeitig. So sind es neben dem netzartig gemusterten hellblauen Grund die großen Inkarnatflächen ihrer Körper, die ordnen, rhythmisieren und Akzente setzen. Hier bricht sich die sinnliche Pracht der in leuchtenden Farben gemalten Gegenstände. Ein Fluß farbiger Pinselstriche, der sich verdichtet, Zentren bildet, der in der Fläche fließt, der einen Reliefraum beschreibt. In der Folge gewinnt der Raum an Bedeutung. Anders, d. h. weiter entwickelt, räumlich stärker aufgebrochen, Außen und Innen definierend, die dreiteilige Komposition von 1986 (Abb.9), in der das Thema polarisiert erscheint. Drei Terrassen greifen spiralförmig in den Bildraum hinein, Vorder- und Hintergrund kennzeichnend. Ein rotes Band unterteilt die Terrassen horizontal in zwei Ebenen: in die des Vordergrundes, die als geklappte Fläche beschrieben ist, und in die des Mittelgrundes, die die Verbindung zur Landschaft herstellt. Hoch über dem Meer, auf einer Art schwankendem Steg mit gerundeten Ausbuchtungen oder Terrassen ruhen oder sitzen drei Frauen und ein Hund, die Köpfe weggewendet, die Gliedmaßen der Körper in sich verschlungen. Die Stilleben mit Tüchern, Obst und Kissen, im Ganzen malerischer gearbeitet, auch weniger dominierend in ihrer Präsenz, knüpfen an Früheres an, um es zu überwinden. Sie stellen die Verbindung zum Landschaftshintergrund her. Nicht länger ziehen die dargestellten Figuren einen Teil ihrer Bedeutung aus der sie umgebenden Fülle. Die Situation ist dramatisch gesteigert. Die Figuren lösen sich stärker ab. Denn die erhöht über dem Meer Träumenden sind durch das im Mittelteil gegebene Bild eines sitzenden Frauenaktes -Bild-im-Bild-Vorstellungen symbolisieren Vergänglichkeit, bedeuten aber auch Selbsterkenntnis; bei Dorrit Nebe findet sich das Motiv gehäuft im Zeit- raum 1987/88- determiniert. DasTriptychon mit drei ruhenden Frauen und Hund repräsen- tiert eine wichtige Entwicklungsphase. Es zeigt den Übergang zu einer freieren, malerischen Sprache und einer neuen Farbqualität. Der Raum öffnet sich. Eine imaginäre, weite Land- schaft ist der Standort der Schilderung. Das Gefährdete, Fragile von Gerüsten und Konstruktionen bestimmt auch die Bilder der Folgezeit.

Das Meer, die Tiefe hinter sich lassend, wie befreit die Stehende von 1987 (Abb.8). Die Raumebenen sind als Vordergrundmotiv mit dahinter stehendem, räumlich gemaltem Bild gelöst. In der auf Blautöne, Schwarz, wenig Braun und Gelb reduzierten Farbigkeit und in der gestrafften, alles Stillebenhafte bannenden Art der Darstellung tritt die neue Grundhal- tung zutage. Die Aufmerksamkeit der Malerin gilt ganz der Figur und dem sie scheinbar umgebenden Raum. Ein anderes Beispiel aus der Zeit reduzierter Farbgebung ist die Liegende von 1988 (Abb.5). Eine unbekleidete Frauengestalt ruht mit angewinkelten Beinen und den Kopf bedeckenden Armen auf einem Gerüst am Ufer eines breiten Stromes. Dominierendes Element der Komposition ist neben dem Frauenakt eine fast die ganze obere Breite einneh- mende Eisenbrücke mit mächtigen Trägern. Ein Mensch und Technik, Verletzlichkeit und Beständigkeit reflektierendes Motiv von ungewöhnlicher Aussagekraft. Auch hier besticht die hohe Qualität der differenzierten Grau-Blau-Schwarz-Malerei, die das Motiv heraus- stellt und gleichzeitig entrückt. In den Kompositionen des folgenden Jahres zeigt sich eine konsequente Weiterentwick- lung motivischer und malerischer Vorstellungen. Der Farbkontrast erhält wieder größeres Gewicht. Die Gerüste, auf denen Liegende und Sitzende verweilen, bieten kaum mehr Platz. Die Landschaften bestehen aus Inseln und Meer. Das Brückenmotiv ist mehrfach variiert- Stärker als zuvor sind Körper aufeinander bezogen. Sie bilden Sterne und Kreuze, stehen als komplexes Ganzes der Landschaft gegenüber. So gibt etwa das 1989 entstandene Gemälde mit drei sich zurücklehnenden Frauenakten (Abb.1 ) Einblick in die neue Bildwirk- lichkeit. Auf zerbrechlich wirkenden Konstruktionen lagern kleine, ungenau beschriebene Plattformen, die Ruhestätte für die drei Frauen sind. Die Gesichter mit geschlossenen Augen einander zugekehrt, Arme und Beine wie absichtslos verschlungen, fügen sich die Körper zur Dreiersymmetrie, zum Stern mit drei Zacken. Im Hintergrund Metaphern von Landschaft, Inseln, Wolken, das Meer. Dadurch erst gewinnt die Darstellung jenen Grad von Unwirklich- keit, der Traumbildern eignet. Der Traum als Projektion von Wunschbild und Erfahrung erscheint in Farbe umgesetzt, aus Farbe erschaffen, als Spiegelung der Welt. Fragile Gebilde wie etwa Paravents, Gerüste, Brücken, die im Nichts enden, aber auch ferne Inseln mit wie zerfetzt wirkenden Silhouetten stehen ebenso für das In-Frage-Stellen von Realität wie die Figuren selbst. Dorrit Nebe sagt im Gespräch über ihre Arbeit: "Meine Bilder entstehen auf traumhaft- assoziativem Wege aus der undefinierten Farbmaterie in vielen Phasen der Überarbeitung. Dabei ergeben sich oft Lösungen, die mich selbst überraschen." Im tätigen Dialog mit der Farbe wird eine Welt erschlossen, die viele Geheimnisse birgt. Eine Welt verinnerlichter Erlebnisse, eine weibliche Welt. Dorrit Nebes symbolistisch verschlüsselte Malerei ist Ausdruck eines genau bestimm- baren künstlerischen Selbstverständnisses. Ein zentrales Thema der Kunstgeschichte berührend, das Verhältnis von Mensch/Frau, Innenraum und Landschaft auslotend, gelangt sie zu unvermuteten, neuartigen Lösungen. Die Eigenwilligkeit der Gegenüberstellung von Figur oder Figurengruppe und Raum ist ein Versuch, das Verhältnis von Mensch und Welt zu bestimmen. Gleichgewicht und Ungleichgewicht, Integration und Ablösung der Figuren halten sich die Waage. So sind die Bilder auch Ausdruck der Suche nach Identität. Sie nehmen in Beschlag. Sie machen betroffen. Doch bleibt auch -ganz wie in den Zeilen von Baudelaire -ein Versprechen.

Barbara Lipps-Kant

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